Ökosystem Adria

Der Film führt uns in einem virtuellen Tauchgang durch die typischen Lebensräume der felsigen Unterwasserlandschaft in der Umgebung der Meeresschule. Beginnend in den lichtdurchfluteten, seichteren Bereichen tauchen wir langsam tiefer über Schattenwände bis in die Meereshöhlen. Bevor wir wieder durch das freie Wasser aufsteigen besuchen wir Seegraswiesen und etwas tiefere Sedimentböden, die auch während des Tages nur mehr schwachses Licht erhalten.

Die Landschaft der Adria

Die Adria – unser „Hausmeer“ – ist ein Nebenmeer des europäischen Mittelmeeres. Sie reicht im Norden tief bis in die kontinentale Masse Europas und ist damit dem strengen Witterungsspiel der Landmassen stärker ausgesetzt als der restliche mediterrane Bereich. Schon auf der Landkarte kann man die deutlichen Unterschiede der Küstenlandschaft im Osten und im Westen erkennen. Die italienische Ostküste erscheint als eine glatte Linie während die Westküste von Albanien bis Kroatien wild zerklüftet und durch viele vorgelagerte Inseln fragmentiert ist. Dieser Umstand ist in tektonischen Bewegungen der Plattensysteme der Erdkruste und in der Art der Sedimentfracht begründet, die aus dem Hinterland an die Meeresküsten gelangt. Vor der schroffen, felsigen Küste liegen Inseln als ehemalige Berggipfel und die Wasserstrassen dazwischen sind geflutete Trogtäler, die in der Eiszeit vor mehr als 10.000 Jahren von Gletschern geformt wurden.

In der letzten Kaltzeit der Eiszeitzyklen wuchsen in der Nordadria nordische Nadelwälder und Wollnashörner und Mammuts weideten dort wo heute Schwärme von Sardinen durch das Wasser ziehen. An der Westküste der Adria münden große Flüsse und transportieren viel Sediment ins Meer, das durch die unermüdlichen Mühlen der Brandungswellen zu Sanden und noch viel kleineren Teilchen zermalen werden. Die feineren Fraktionen bleiben länger in Schwebe und sinken erst weiter draussen im Meer zu Boden. Daher sind alle Meeresböden fernab der Küsten von Silt und Ton bedeckt. An der Ostküste münden vor allem im Norden kaum Flüsse. Die Sedimente an den Küsten stammen daher vor allem vom Gestein der felsigen Gestade, dass unterstützt durch Bohrtätigkeit von Bohrmuscheln, Bohrschwämmen und Cyanobakterien und Weidetätigkeit von Napfschnecken und Strandschnecken, an der Wasserlinie durch die Wellenbrandung erodiert wird. Es finden sich auf den seichten Sedimentböden zahlreiche Bruchstücke von Muschel- Schnecken- und anderen Kalkschalen, die durch die geringe Sedmentation nicht so schnell verdeckt werden. Dieser besondere Boden wird in diesem Bereich als Schill bezeichnet.

Die Lebensräume

Die felsige Küste ist für eine Schnorchelexkursion weitaus spannender als Sandböden. Daher wird das Augenmerk in diesem Artikel auf die stark bewachsenen und hochdiversen Hartböden der Adria gerichtet. In Abbildung 1 sind die markanten Lebensräume schematisch dargestellt, die an einer mäßig geneigten Felsküste anzutreffen sind. Bei stärkerer Neigung an weit vorspringenden Klippen bleibt weniger Sediment liegen und die Feinsedimentböden der Schelfebene beginnen erst ab einigen dutzend Metern. Entsprechend sind in dieser Tiefe meist keine Seegräser mehr zu finden da im Jahresmittel zu wenig Licht für die Photosynthese zur Verfügung steht. Bei flacher geneigten Küstenabschnitten, wie man sie üblicherweise in Meeresbuchten finden kann, liegt bereits im seichten Wasser und bis an den Strand Kies und grobes Geröll. Wir treffen dort bereits in wenigen Metern Tiefe auf feinere Sedimente, die von Seegräsern bewachsen sind.

Abbildung 1: Die Lebensräume der Felsküsten

An der Wasserlinie ist die Felsküste durch Bohr- und Weidetätikeit verschiedener Meeresorganismen besonders stark zerklüftet

Felsküste und Gezeitenzone

Der felsige Strand über der Hochwasserlinie liegt im Wellenschlag- oder Spritzwasserbereich des Supralitorals. Er eignet sich wunderbar für spannende Exkursionen zu Fuß. Die charakteristische graue bis braunschwarze Färbung des Kalkgesteins in Nähe zur Wasserlinie wird durch das Vorhandensein von im Gestein chemisch bohrenden (endolithischen) Cyanobakterien verursacht. In winzigen Poren, die kaum tiefer als 1mm in den Fels reichen, hält sich besser die Feuchtigkeit. Die Cyanobakterien leben quasi nur von Licht, Luft und Wasser. Sie haben die seltene Fähigkeit den Luftstickstoff, der in der extrem stabilen N2-Form vorliegt, zu spalten und sodann für dem Aufbau von Körpersubstanz zu nutzen. Damit stehen sie an der Basis der Nahrungskette und sind am Strand auch die Nahrungsgrundlage für die meisten anderen Organismen, die hier anzutreffen sind. In erster Linie sind das diverse Meeresschnecken mit Gehäuse (Gattungen: Littorina, Patella, Monodonta), die mit ihrer stark mineralisierten Radula das oberflächliche Gestein mitsamt der Cyanobakterien abraspeln und damit stark zur Zerklüftung und Erosion der Küste beitragen. Im übrigen ist der Felsstrand eine wüstenartige Zone in der die raschen Wechsel der Extreme zwischen Hitze und Abkühlung, Feuchtigkeit und Trockenheit und Süß- und Salzwasser so heftig sind dass nur eine Hand voll Lebewesen es schafft sich dauerhaft hier anzusiedeln. Aufregend wird jedoch ein Blick in die Felstümpel (Rockpools), die nahe der Wasserlinie liegen und vielleicht sogar so nahe, dass sie während der Flut mit dem Meer in Verbindung stehen (Gezeitentümpel). Dort beginnt eine Vielfalt an Leben, die den wahren Reigen an Meeresgeschöpfen unter der Wasserlinie nur erahnen lässt.

Hartboden mit Algenphytal

Unter der Niedrigwasserlinie beginnt der ständig untergetauchte Meeresbereich des Sublitorals. Der anstehende Fels (primärer Hartboden) und Felsstücke, die durch ihre Größe oder ihre geschützte Lage lang genug in einer Position liegen bleiben, werden in den lichtdurchfluteten Bereichen vor allem von Meeresalgen bewachsen. Diese besitzen derbe Haftorgane und nehmen Nährstoffe meist über ihren gesamten Vegetationskörper (Thallus) auf. Mehrjährige Algen haben überdauernde (persistierende) Thallusabschnitte (Hauptstämmchen oder Haftscheiben)  in denen die Nährstoffe während den Ruhephasen in den lichtschwachen Wintermonaten zwischengespeichert werden. Saisonale Algen sind die Vagabunden unter den Meerespflanzen. Sie erscheinen oft nur für wenige Wochen und wachsen auch auf weniger stabilen Untergründen, ja sogar auf den derberen größeren Verwandten. Ein solches Pflanzendickicht bietet durch die Vielzahl an Wuchsformen einen räumlich sehr hoch strukturierten Lebensraum, das sogenannte Algenphytal, das eine Unmenge an Kleinfauna beherbergt. Kleine Krebse, Stachelhäuter, Weichtiere und Vertreter aus beinahe allen marinen Tierstämmen leben hier und ernähren sich entweder von im Wasser suspendierten organischen Partikeln (Suspensionsfresser) oder von Partikeln, die sich im Geflecht der Pflanzen fangen und dort akkumulieren (Depositfresser). Andere beweiden lebende Pflanzen (herbivore) oder fressen lebende Tiere (carnivore).

Der gestreifte Schleimfisch Parablennius gattorugine zwischen Braun- und Grünalgen

Die Rotmaulgrundel Gobius cruentatus

Eine Steckmuschel findet gute Verankerung in einer Cymodocea nodosa Seegraswiese

Auf den breiten Blättern des Neptungrases (Posidonia oceanica) findet man häufig tierischen Aufwuchs (z.B. Hydroiden)

Seegrasphytal

Ähnlich verhält es sich in den Seegraswiesen der Sedimentböden. Deshalb sind die Pflanzenlebensräume (allgemein als Phytal bezeichnet) hochdiverse Biotope, die nicht nur viele kleine Spezialisten beherbergen sondern für die in der Nahrungskette weiter oben folgenden größeren Konsumenten oft sichere Kinderstube, Versteckmöglichkeit und Nahrungslieferant bedeuten. Die meisten Fische wachsen entweder mit den Pflanzen auf oder verbringen dort ihr ganzes Leben. Seegräser gehören neben den Algen zur zweiten großen Pflanzengruppe des Meeres. Sie sind Gefäßpflanzen und besitzen Wurzelsysteme mit Rhizomen, da sie von Landpflanzen abstammen. Mit der Errungenschaft dieser Systeme, die an Land notwendig sind, um Nährstoffe aus dem Boden aufzunehmen und dann über die Gefäße in alle Bereiche der Pflanze zu transportieren, konnten die Seegräser die feinkörnigen Sedimentböden der Meere für sich in Anspruch nehmen. Die Wurzeln ermöglichen nicht nur eine gute Verankerung in diesem Substrat sondern auch die Aufnahme der gelösten Nährstoffe (vor allem Phosphate), deren Konzentration im Porensystem zwischen den Sandkörner wesentlich höhe ist als im umgebenden Wasser. Ein ernstes Problem, dass es an Land aber nicht gibt, mussten diese Pflanzen erst überwinden lernen. Sie werden, so wie alles, was eine gewisse Stabilität besitzt, gnadenlos nicht nur von anderen Pflanzen sondern auch von sesshaften Tieren, den sogenannten Sedentariern, bewachsen. Die Lösung ist das „Förderbandwachstum“. Das teilungsfähige Zellgewebe (Meristem) der Seegräser liegt an der Basis der Blätter. Sie wachsen also von unten nach oben und schieben den gesamten Aufwuchs wie auf einem Förderband in Richtung zum apikalen Teil der Pflanze. Dort verrottet das Blatt und wird mitsamt den Trittbrettfahrern von den Wellen ständig aberodiert.

Höhlen und Schattenbereiche der Hartböden

An stärker geneigten, felsigen Böden ist selbst im seichten Meer der Lichtverlust so groß, dass sich nur schattenliebende Algen (sciaphile Algen) und diverse sesshafte Tiere dauerhaft ansiedeln können. Hier findet man zum Beispiel Schwämme (Porifera) und Stöckchen von Moostierchen (Bryozoa). Kalkröhrenwürmer (Polychaeta) und Wurmschnecken (Gastropoda)  können hier ebenfalls ohne Raumkonkurrenzdruck durch schnellwüchsige Algen ihre Kalkröhren am Substrat ausbreiten. Es bilden sich durch ständiges Übereinanderwachsen kalkige Riffstrukturen biogenen Ursprungs, sogenannte Bioherme. Nur die obersten Zentimeter des Riffs sind belebt. Die Kalkmasse im Untergrund kann über hunderte von Jahren mehrere Meter Dicke erreichen. Das Jahreswachstum beträgt aber nur wenige Millimeter. Den Hauptanteil an der Kalkmasse, die sekundär stark durch bohrende Organismen durchlöchert wird, bilden die Kalkrotalgen (Corallinacea). Diese Bioherme nennt man Coralligéne oder Korallinenböden. Selbst auf tiefen Sedimentböden, die wegen ihrer Tiefe kaum durch Wellenbewegung umgewälzt werden, können sich Coralligéne-Strukturen bilden und ausbreiten. Solche, durch kalkabscheidende Aufwuchsorganismen verfestigte Sedimentböden, werden auch als sekundäre Hartböden bezeichnet.

Korallinenboden mit Schwämmen und Kalkrotalgen

Moostierchen, Seescheiden und Schwämme wachsen gerne auf Schattenwänden

Mönchsfische (Chromis chromis) halten sich gerne über Blockfeldern auf

Blockgrund

Bei Blockgrund handelt es sich um Gesteinsblöcke, die entweder auf Grund ihrer Tiefe oder ihrer wellengeschützten Lage, sehr lange Liegezeiten aufweisen. Dadurch sind die Blöcke eher kantig und stark bewachsen. In weiterer Folge können die Blöcke durch tierischen Aufwuchs (Schwämme, Kalkröhrenwürmer, Moostierchen) und pflanzlichen Aufwuchs (Kalkrotalgen) regelrecht miteinander verkittet werden. Dadurch erlangt das Blockfeld eine noch höhere Stabilität und es kann sich ein dauerhaftes Lücken- und Spaltensystem bilden, das einer unglaublichen Vielfalt an beweglichen und sesshaften Tieren verschiedener Größenordnungen als Lebensraum dient. Dieser stabile Hartboden beherbergt auch eine große Zahl an bohrenden Organismen (primäres Endolithion), die das Gestein durchlöchern und nach ihrem Ableben ein weiteres Lückensystem für andere Bewohner (sekundäres Endolithion) hinterlassen.

Feinsedimentböden

Die tieferen Böden werden von feinen Sedimenten bedeckt. Ihre Oberfläche ist vor allem durch tierische Grabtätigkeiten (Bioturbation) geprägt. Da das Sediment kaum durch Wasserbewegung umgelagert wird, können diverse Tiere (z.B. Muscheln, Maulwurfskrebse) röhrenartige Grabbauten anlegen deren Wände oft durch schleimartige Substanzen verfestigt werden. Die feinsten Sedimente findet man fernab der Küsten in Tiefen ab 30m. Sie besitzen kaum noch ein Lückensystem mit Porenwasser. Bereits nach wenigen Zentimetern Tiefe ist das Sediment anoxisch. Bewegliche Tiere kriechen oder schwimmen mehr über den Boden als sich darin einzugraben. Grabbauten sind kaum mehr vorhanden. Es bilden sich oft massige Konglomerate aus sesshaften, kalkabscheidenden Tieren (Moostierchen, Röhrenwürmer, Austern etc.) auf denen viele weitere Sedentarier Platz finden. Diese Ansammlungen von sesshaften Tieren leben ausschließlich von organischem Material, dass fast ausschließlich in oberen Wasserschichten gebildet wird und auf die tieferen Böden herabrieselt. Pflanzen können bis auf diverse Einzeller in dieser Tiefe kaum existieren.

Maulwurfskrebs mit dem Schema eines Grabbaues