Gerwin Gretschel und Jan Gohla am Strand der Valsaline-Bucht vor der Meeresschule Pula.

Über das Mikroplastik-Forschungsprojekt: „Die Welt in kleinen Schritten retten!“

Jan Gohla und Gerwin Gretschel haben 2017 das Projekt Mikroplastik an der Meeresschule Pula ins Leben gerufen. Später kam Sandra Bracun, eine Meeresschule Mitarbeiterin, dazu. Die Entdeckung im Bereich Mikroplastikextraktion aus Strandsedimenten ließ führende Expert*innen staunen. Vier Jahre später hat sich einiges getan, vieles steht noch ganz am Anfang. Ein Gespräch über die Entstehung und Zukunft des Projektes, die Auswirkungen von Mikroplastik auf das Ökosystem und die Rettung der Welt (in kleinen Schritten).

Text und Fotos: Rebecca Gahr

Vor der Meeresschule Pula mit Aussicht aufs adriatische Meer sitzen die beiden Biologen Jan Gohla und Gerwin Gretschel vor je einer heißten Tasse Kaffee und erinnern sich an die Anfänge des Projektes „Mikroplastik“ zurück. Zu Beginn hätten beide nicht mit den weitreichenden Erfolgen des ursprünglichen Schulprojektes gerechnet. Jah Gohla, Lehrer am Lise Meitner Gymnasium Willich-Anrath, leitet seit 2012 den Projektkurs Meereskunde und Ozeanografie – immer verbunden mit einer Exkursion an die Meeresschule Pula. Dort lernte er auch den Leiter der Meeresschule Gerwin Gretschel kennen. Auf der Suche nach einem anschaulichen Thema für seinen Kurs stieß Jan Gohla auf das ihm damals noch nicht sehr geläufige Thema Mikroplastik. Das war die Geburtsstunde des Projektes.

Jan Gohla und Gerwin Gretschel sitzen vor dem Café vor der Meeresschule Pula und erinnern sich an die Anfänge des Projektes Mikroplastik.

Gerwin Gretschel: Genauso wie wir hier jetzt sitzen ist eigentlich auch das Projekt entstanden: bei einer Tasse Kaffee.

Jan Gohla: Angefangen hat alles ganz klein. Da die Herbstferien vor der Tür standen, habe ich alle Kolleg*innen gebeten, ein Marmeladenglas voll Sand aus ihrem Urlaub mitzubringen. Ich dachte, wenn zwei, drei Leute mitmachen, ist das schön. Am Ende hatten wir 40 oder 50 Proben von überall! Vom indischen Ozean, der Nordsee, dem Atlantik, Südafrika, dem Pazifik – alles. Das war eine coole Sache! Den Sand haben wir dann erstmal mikroskopiert. Jetzt denkst du: „Sand mikroskopieren – Geht es noch langweiliger?“ Aber nein! Das ist hochgradig interessant und aufschlussreich und man findet eben auch Teilchen, die nicht Sand sind – wie zum Beispiel Mikroplastik.

Und um dieses zu extrahieren, habt ihr dann eine ganz neue Methode entwickelt. Kannst du kurz erklären, wie das funktioniert?

Jan Gohla: Im Prinzip ist es ganz einfach – Alle Stoffe haben eine bestimmte Dichte. Ist die Flüssigkeit, in der sie sich befinden dichter als ihre eigene Dichte steigen sie auf. Um die Dichte der Flüssigkeit zu erhöhen, damit auch sehr dichte Kunststoffe an die Oberfläche steigen, wird die Flüssigkeit mit Salzen angereichert – Einfaches Kochsalz zum Beispiel. Damit erreicht man aber nur eine Dichte von etwa 1,2 ungefähr. Eine weit höhere Dichte erreicht man mit Kaliumkarbonat – also Pottasche.

Jan, wie bist du auf Kaliumkarbonat als Extraktionsmittel gekommen?

Jan Gohla: Naja, ein Marmeladenglas Sand ist ziemlich viel. Wir konnten schlecht alle Proben ausbreiten und mit dem Binokular untersuchen, ob wir Partikel finden, die nicht aussehen wie Sand – abgesehen davon, dass man Mikroplastik optisch kaum bis gar nicht von Sand unterscheiden kann. Also bin ich die unterschiedlichen Möglichkeiten durchgegangen. Oft wird mit Zinkchlorid gearbeitet. Damit erreicht man eine sehr hohe Dichte, hat aber den Nachteil, dass es sehr teuer ist und – für mich noch wichtiger – umweltschädlich bis zum geht nicht mehr. Für mich ist es absurd in einem Kurs, in dem es um Umwelterziehung geht, eine solch toxische Substanz zu verwenden. So sind wir dann auf das Kaliumkarbonat gekommen. Das wurde früher als Backmittel verwendet und kann günstig gekauft werden.

Gerwin Gretschel: Und das ist absolut genial! Wir haben diese Idee den Menschen an vorderster wissenschaftlicher Front vorgestellt. Und die Leute waren perplex: „Das wäre ja ein starkes Stück, wenn man mit Pottasche Mikroplastik extrahieren könnte.“

Das klingt fast schon zu simpel – Wieso ist darauf davor noch niemand gekommen?

Gerwin Gretschel: Das fragen wir uns auch! Aber ich glaube, dass die Menschen von sich aus nicht mehr über so etwas nachdenken. Alles passiert im Auftrag von einer Organisation, die bezahlt. An den kompliziertesten technischen Methoden wird geforscht und verfeinert. Da ist Geld zu machen, das wird vorangetrieben. Aber die Grundlagenforschung, wo man eigentlich nur clever sein und mal nachdenken muss – so wie Jan das gemacht hat – bleibt auf der Strecke.

Jan Gohla: Und vielleicht fehlt auch der Druck. Ich MUSSTE günstig und nachhaltig sein, weil ich mit Schüler*innen arbeite. Außerdem muss die Methode Citizen Science-tauglich sein, wenn man sie flächendeckend betreiben will. Das war mein Hauptantrieb.

Gerwin Gretschel um Gespräch mit Jan Gohla vor der Meeresschule Pula.
Jan Gohla im gestreiften T-Shirt erzählt vom Mikroplastik-Projekt, im Hintergrund die Meeresschule Pula.

Ihr habt also diese Methode zur Extrahierung des Mikroplastiks verbessert. Aber was passiert dann? Dadurch verringert sich das Mikroplastik ja nicht, oder?

Jan Gohla: Das Monitoring und die Datenerfassung sind enorm wichtig. Diese Daten und Fakten brauchen wir, um sie später vor Entscheidungsträger*innen zu bringen. Nichts wird sich ändern, wenn der Gerwin Gretschel am Strand steht, eine Plastiktüte sieht und schreit: „Wir haben ein Plastikproblem!“ Oder wenn ich sage: „Mir kommt das Meer aber wärmer vor als vor fünf Jahren.“ Wir brauchen Daten und Fakten auf deren Grundlage dann Entscheidungen getroffen werden können.

Gerwin Gretschel: Und genau die fehlen. Bis heute weiß man nicht, wie viel Mikroplastik es eigentlich im Meer gibt. Da geht es um plus minus hundert Millionen Tonnen! Es gibt in der Forschung eben keine günstige, massentaugliche und einheitliche Methoden, wie man aus Tiefseeschlamm, Eis, Sand, Gewässern das Mikroplastik extrahieren kann.

Mikroplastik kommt überall vor: von der Tiefsee über die höchsten Berggipfeln bis in die Atmosphäre. Überall. Aber man weiß nicht wie viel.

In den Medien geistern Zahlen, aber die sind zum Teil absurd. Es könnte tatsächlich auch sein, dass viel weniger vorhanden ist als wir annehmen, dass es bereits teilweise biologisch oder chemisch abgebaut wurde. Vielleicht geht das im Meer ja auch tatsächlich schneller. Man weiß es nicht.

Jan Gohla: Aber selbst, wenn es sich zersetzt, und zwar komplett: Was überbleibt sind Halogene, Kohlenstoffdioxid und Wasser. Das wäre auch kein Grund zur Entwarnung. Das kann zum Beispiel zu einer Überdüngung der Meere führen und das Gleichgewicht dort stören.

Gerwin Gretschel: Aktuell ist einfach nichts vergleichbar, weil die Daten mit unterschiedlichen Methoden und Standards  erhoben wurden. Man kommt zu keiner Gesamtaussage. Und deshalb ist unser System so faszinierend, ein ganz neuer Ansatz.

Wenn ich am Strand Zigarettenpackungen und Cola-Dosen finde, stört mich das. Mikroplastik nehme ich gar nicht wahr. Was ist denn eigentlich so schlimm an Mikroplastik?

Jan Gohla: Vieles! Die Oberfläche eines Körpers wird beispielsweise in Relation immer größer, je kleiner der Körper wird. Mikroplastik hat daher eine enorm große Oberfläche. An dieser Oberfläche bleiben andere Stoffe, vorzugsweise Schad- und Giftstoffe haften. Die Mikroplastikpartikel wirken wie Magnete und entwickeln sich zu richtig toxischen Paketen. Viele Organismen können nicht zwischen denen und potenzieller Nahrung unterscheiden und so gelangen sie in die Nahrungskette. Das kann mitunter sehr gefährlich sein. Denn dann kommt es zu einer Anreicherung von Mikroplastik bei höheren Lebewesen, wie uns Menschen. Und es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Probleme:

Mikroplastik heizt das Weltklima an. Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich: „Jetzt lasst die Kirche mal im Dorf. Man muss Mikroplastik nicht für ALLES verantwortlich machen.“

Aber es ist tatsächlich so, dass gefärbtes Plastik Sonnenstrahlen absorbiert und sich so erwärmt. Das kann erheblich zur Erderwärmung beitragen.

Was genau sind denn die Auswirkungen von Mikroplastik, gelangt es einmal in den Organismus?

Gerwin Gretschel: Wir wissen, dass wir Plastikpartikel aufnehmen und sie auch wieder ausscheiden. Was dazwischen passiert weiß man noch nicht. Es gab Versuche mit Tieren, denen man Plastikpulver verfüttert hat. Nach 20 Minuten waren die Plastikpartikel im Lymphsystem, im Blut, sogar in Immunzellen. Selbst die Blut-Hirnschranke konnten sie überwinden. Bei Menschen wurde das noch nicht nachgewiesen, aber warum sollte es anders sein? Man kann davon ausgehen, dass es einen Effekt hat, nur welchen wissen wir nicht. Der Verstand sagt einem aber, dass es sich auf unsere Gesundheit nur negativ auswirken kann.

Wenn die Auswirkungen von Mikroplastik noch so unklar sind, könnte es sich auch positiv auf das Ökosystem auswirken?

Gerwin Gretschel: Es handelt sich um Kunststoffe, die wir hergestellt haben, die in der Natur so nicht existieren, schon gar nicht in diesen Mengen. So etwas hat nie gute Auswirkungen. Das bringt die Natur aus dem Gleichgewicht. Und das muss bestenfalls nicht unbedingt für die Natur negativ sein, aber auf jeden Fall für uns, die wir darauf angewiesen sind, dass unsere Umwelt in einem möglichst stabilen Zustand bleibt.

Jan Gohla: Die Meinungen gehen da stark auseinander. Die einen prophezeien Horrorszenarien, die anderen finden: „Halb so wild.“ Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Vielleicht wird es überdramatisiert. Aber ich finde, es gibt Experimente, die muss man nicht immer bis zum Ende durchführen, wenn man den Ausgang nicht kennt. Alles muss man nicht ausreizen.

Jan Gohla und Gerwin Gretschel stehen nebeneinander am Strand in Pula und blickeln lächelnd in die Kamera, im Hintergrund die Valsaline-Bucht.

Sollte man also am besten ganz auf Plastik verzichten?

Jan Gohla: Es gibt überhaupt keinen Grund Plastikbesteck zu verwenden. Aber gleichzeitig können wir ohne Kunststoffe nicht leben.

Gerwin Gretschel: Kunststoffe sind super! Ein geniales Material, ohne dem wir hier so nicht sitzen würden.

Jan Gohla: Ja, im wahrsten Sinne des Wortes! (Wir sitzen gerade auf Plastikstühlen.)

Gerwin Gretschel: Medizinische Versorgung, elektrischer Strom, das wäre alles nicht möglich. Es geht nicht ohne. Man kann Kunststoffe nicht komplett verweigern.

Wie wird es mit dem Projekt weitergehen?

Jan Gohla: Das Projekt läuft. Aber es ist noch lange nicht abgeschlossen. Der nächste Schritt ist, die Kunststoffe von allen organischen Teilen zu trennen. Die Algen-, Seegras-, Holzreste – das schwimmt ja alles mit auf. Das ist noch nicht gelöst. Und wenn man dann reinen Kunststoff hat, weiß man ja noch immer nicht welchen Kunststoff. Das valide herauszufinden, ist das nächste Problem. Es warten also noch einige Herausforderungen. Aber irgendwo muss man anfangen. Ich bin ein großer Fan davon, die Welt in kleinen Schritten zu retten.